Weihnachtsdeko als Nationalsport: Viele Städte veranstalten „Light Contests" mit blinkenden Fassaden, synchronisierter Musik und aufblasbaren Weihnachtsfiguren.

Weihnachtsdeko als Nationalsport: Viele Städte veranstalten „Light Contests" mit blinkenden Fassaden, synchronisierter Musik und aufblasbaren Weihnachtsfiguren.
Ganze Straßenzüge im strahlenden Lichterglanz, geschmückte Tannenbäume so hoch wie Wolkenkratzer und eine Tafel, die unter der Last des Festmahls ächzt: Das „X“ in X-Mas steht in den USA für „Extra Large“. Hier darf das Fest der Stillen Nacht gerne auch etwas lauter und greller ausfallen als in anderen Teilen der Welt. Wer diesen Enthusiasmus einmal hautnah erleben möchte, für den wird eine USA-Reise über Weihnachten zum absoluten Highlight. Zwischen extravaganten Lichtershows, farbenprächtigen Paraden und überschwänglicher Traditionsliebe zeigt sich, was die magischste Zeit des Jahres dort so besonders macht – Weihnachten im XXL-Format eben.
In den USA fällt der Startschuss für die Festtage unmittelbar nach Thanksgiving, das traditionell am vierten Donnerstag im November gefeiert wird. Sobald der Truthahn verspeist ist, eröffnet der Black Friday die Jagd auf Geschenke und lässt das Land fast über Nacht in eine Glitzerwelt aus Licht und Farbe explodieren. Ganze Nachbarschaften wetteifern ab diesem Moment in leuchtenden Inszenierungen, während Radiosender von nun an rund um die Uhr Weihnachtsklassiker spielen. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem kitschige Weihnachtspullover aus dem Kleiderschrank gekramt, Mistelzweige in Türrahmen aufgehängt und die ersten Weihnachtskarten geschrieben und verschickt werden. Die Liste der heimischen Weihnachtsvorbereitungen ist endlos. Auch das Aufstellen und Schmücken der Tannenbäume versüßt nun vielerorts die Wartezeit und wird darüber hinaus zum verbindenden Gemeinschaftserlebnis. Ein besonderer Moment und für viele fester Bestandteil ihrer Weihnachtstraditionen sind die Tree Lighting Ceremonies, bei denen man sich versammelt und gemeinsam herunterzählt, bis der riesige Community Tree in tausend Lichtern erstrahlt und so den Saisonauftakt feierlich markiert. Wer die Vorweihnachtszeit in den USA miterlebt, wird Zeuge davon, wie ein ganzes Land kollektiv in den Weihnachtsmodus schaltet.
Wer Weihnachten in den USA feiert, muss am Heiligabend Geduld beweisen. Während in Deutschland bereits am Abend des 24. Dezembers das Weihnachtsfest seinen Höhepunkt erreicht, herrscht in Amerika zu diesem Zeitpunkt noch die Ruhe vor dem Sturm. Der eigentliche magische Moment ist hier der Christmas Morning am 25. Dezember.
Nachdem die Kinder am Vorabend traditionell Milch und Plätzchen für Santa Claus und Karotten für seine Rentiere hingestellt haben, findet die Bescherung oft im Morgengrauen statt. Ein typisch amerikanisches Bild: Die ganze Familie versammelt sich im Schlafanzug – idealerweise sogar im Partnerlook – unter dem Baum. Die zuvor am Kamin oder Treppengeländer aufgehängten Weihnachtsstrümpfe werden als Erstes geleert, bevor die großen Pakete an der Reihe sind, die Santa laut Legende nachts durch den Schornstein gebracht hat. Diese sind traditionell mit sogenannten Stocking Stuffers gefüllt: kleine Spielzeuge, Süßigkeiten, Pflegeprodukte oder einer Orange oder Mandarine im Zehenbereich als Symbol für Goldmünzen.
Ein interessantes Detail ist die Unterscheidung der Geschenke: In vielen Familien wird zwischen denen Santas und denen der Familie unterschieden. Während die Geschenke der Verwandten oft schon Tage vorher in buntes Papier verpackt unter dem Baum liegen, erscheinen Santas Gaben „wie von allein“ über Nacht. Oft sind Santas Geschenke nicht verhüllt, sondern Fahrräder, Puppenhäuser und dergleichen werden bereits aufgebaut präsentiert.
Doch nicht alle Geschenke warten bis zum Weihnachtsmorgen. In den Wochen zuvor sorgen zwei besondere Traditionen für Stimmung auf Partys und im Büro: Secret Santa entspricht dem klassischen Wichteln, bei dem einer zugelosten Person anonym eine Freude gemacht wird. Das Tauschspiel White Elephant hingegen hat mit Besinnlichkeit wenig zu tun: Hier steht der Spaß am Stehlen im Vordergrund, wenn sich gegenseitig skurrile und unnütze Geschenke „abgejagt“ werden.
Unangefochtene Hauptrolle im amerikanischen Weihnachtsstück spielt natürlich Santa Claus, der Star aller Herzen und offizieller Zeremonienmeister der gesamten Festzeit. Sein Erscheinen bei großen Paraden markiert den offiziellen Saisonstart, und auch danach ist er aus den Festivitäten nicht wegzudenken. In fast jeder Shopping Mall des Landes können Kinder stundenlang Schlange stehen, um für einen kurzen Moment auf Santas Schoß zu sitzen und ihm ihre Wünsche zu verraten. Sein heute weltbekanntes Aussehen als pausbäckiger, alter Mann mit schlohweißem Bart wurde maßgeblich durch die Werbekampagnen von Coca-Cola ab den 1930er-Jahren geprägt und so zum globalen Standard. Auch sein treuester Begleiter entsprang ursprünglich einem Werbegag: Rudolph, the Red-Nosed Reindeer sollte 1939 als Malbuch-Figur der Kaufhauskette Montgomery Ward mehr Kunden in die Läden locken – heute weist er als das berühmteste der neun Rentiere mit seiner leuchtenden Nase den Weg durch die stürmische Winternacht.
Ebenso fest im popkulturellen Gedächtnis verankert ist Frosty the Snowman, der zum Leben erweckte Schneemann, der dank seines magischen Zylinders durch die Straßen tanzt und Kinder dazu animiert, die Kälte mit Humor und Abenteuerlust zu nehmen. Den absoluten Kontrast dazu – im Farbton Grün – bildet der Grinch, jene griesgrämige Kreatur aus der Feder von Dr. Seuss, die mittlerweile genauso zur Weihnachtszeit gehört wie der Tannenbaum. Seine Wandlung vom Weihnachtshasser zum Freund des Festes ist eine der meistgeliebten Erzählungen in den Staaten.
Ob in Filmklassikern, als riesige aufblasbare Figuren in den Vorgärten oder als Motiv auf Grußkarten, wer Weihnachten in den USA verbringt, wird diesen ikonischen, schrullig-liebenswerten Charakteren zwangsläufig begegnen.
Bei den meisten beginnt der Christmas Day kulinarisch mit einem ausgedehnten Familienfrühstück oder Brunch nach der Bescherung, bei dem oft Pancakes, Cinnamon Rolls oder ganz klassisch Rührei mit Speck serviert werden und nach wie vor der Dresscode „Schlafanzug“ herrscht. Den restlichen Vormittag verbringt man entspannt, während in der Küche bereits die Vorbereitungen für das eigentliche Hauptereignis laufen: das Christmas Dinner am späten Nachmittag oder frühen Abend. Im Gegensatz zu Thanksgiving ist das Menü an Weihnachten etwas flexibler. Auch wenn der gefüllte Truthahn hier noch nicht komplett von der Menüliste gestrichen ist, wurde er für viele an Weihnachten von Schinken (Honey-Glazed Ham) oder Roast Beef abgelöst. Häufigste Beilagen sind die klassische Brotfüllung und die berühmten Süßkartoffeln, auf deren süß-salzige Kombi viele Amerikaner schwören. Für uns Europäer sind sie – da wie ein Nachtisch mit einer dicken Schicht geschmolzener Marshmallows überbacken – eher gewöhnungsbedürftig.
Ebenfalls nichts für jeden Feinschmecker, aber ein flüssiger Begleiter durch die gesamte Weihnachtszeit: der Eggnog, ein cremiger Eierpunsch mit einer ordentlichen Prise Muskatnuss. Wie ernst die Amerikaner dieses Getränk nehmen, beweist eine skurrile Anekdote: 1826 löste der Punsch an der Militärakademie West Point den sogenannten „Eggnog Riot“ aus, bei dem eine Weihnachtsfeier völlig aus dem Ruder lief, weil Kadetten unerlaubt Whiskey unter den Drink mischten.
Das Fabrizieren genießbarer Kunstwerke kann auch zum Familienritual werden: Ganze Nachmittage werden damit verbracht, Gingerbread Houses zu bauen. Wer sich nicht als Architekt erweist, backt zumindest stapelweise Christmas Cookies. Dass man für Santa Claus heute Kekse bereitstellt, ist übrigens eine Lektion aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise: Eltern wollten ihren Kindern damals vermitteln, dass es gerade in schwierigen Zeiten wichtig ist, Dankbarkeit zu zeigen.
Neben dem opulenten Essen und den großen Lichtershows in den Vorgärten prägen vor allem kleine, oft skurrile Rituale die amerikanische Weihnachtszeit. Ein echtes Phänomen sind die Christmas Cards: Millionen von US-Haushalten verschicken professionelle Familienfotos, auf denen oft alle Beteiligten, inklusive Hund, im gleichen Pyjama posieren. Ergänzt wird das Foto häufig durch eine Art Newsletter, der die Highlights des Familienjahres zusammenfasst. Weniger vorzeigbar, aber genau aus diesem Grund ein Trend sind die Ugly Christmas Sweater: Wer den hässlichsten, auffälligsten, kitschigsten Pullover trägt, gewinnt. Was als ironischer Gag begann, ist heute eine riesige Industrie.
Mut zur Hässlichkeit gibt es auch beim Schmücken des Baumes. Hier findet man oft die Christmas Pickle, eine gläserne Gurke, die zwischen den Zweigen vom Christmas Tree versteckt wird. Der Finder wird mit einem zusätzlichen Geschenk oder der Ehre belohnt, die Bescherung offiziell zu eröffnen. Ein weiterer, sehr nostalgischer Weihnachtsbrauch in den USA ist das Basteln von Popcorn-Girlanden, die wie Lametta um den Baum gewickelt werden. Heute für seinen Vintage-Look wieder sehr beliebt, stammt diese Tradition aus einer Zeit, in der natürlich hergestellter Schmuck noch Standard war. Über den Türschwellen werden außerdem gerne Mistelzweige platziert, die demjenigen, der darunter steht, nach alter Tradition das Recht gibt, einen Kuss einzufordern.
Für tägliche Aufregung bei den Kindern sorgt der Elf on the Shelf, der jeden Morgen in neuer Pose beim Streiche spielen ertappt wird, mal beim Angeln im Waschbecken, mal beim Klopapierabrollen über die gesamte Treppe.
Während der Christmas Eve am 24. Dezember oft mit einem Kirchgang verbracht wird, lieben es die Amerikaner, am Christmas Day Weihnachtsfilme zu schauen. Allen voran das Nationalheiligtum It’s a Wonderful Life, der seinen Kultstatus einem kuriosen Rechte-Fehler in den 70ern verdankt: Da er kostenlos verfügbar war, zeigten ihn die Fernsehsender in Dauerschleife, bis er gezwungenermaßen zur Tradition wurde. Ebenso wenig wegzudenken ist der Grinch, Home Alone oder die jährliche Debatte darüber, ob der Actionfilm Die Hard nun offiziell als Weihnachtsfilm zählen darf oder nicht.
New York City verwandelt sich im Dezember in eine einzige, glitzernde Bühne und zum Zentrum der amerikanischen Weihnachtswelt. Ein absoluter Höhepunkt ist die legendäre Macy’s Thanksgiving Day Parade, die zwar im November stattfindet, aber traditionell die Ankunft von Santa Claus und damit offiziell die Weihnachtszeit einläutet. Das Herzstück im Dezember ist natürlich der riesige, hell erleuchtete Tannenbaum am Rockefeller Center, unter dem die Schlittschuhläufer ihre Schleifen drehen. Wer sich an Weihnachten für einen USA-Urlaub entscheidet, sollte sich auch die Schaufenster der großen Kaufhäuser wie Saks Fifth Avenue nicht entgehen lassen, die mit aufwendigen Licht- und Musikshows ganze Geschichten erzählen. Um es richtig krachen zu lassen, empfiehlt sich ein Besuch der Radio City Christmas Spectacular-Show mit den weltberühmten Rockettes.
Natürlich lässt sich auch in anderen amerikanischen Großstädten besondere Weihnachtsmagie finden: Während man in Chicago über den stimmungsvollen Christkindlmarket schlendert und die frostige Brise vom Lake Michigan spürt, strahlt vor dem Weißen Haus in Washington D.C. der National Christmas Tree eine ganz besondere, feierliche Erhabenheit aus.
Wer sich nach der klassischen Weißen Weihnacht sehnt, findet in den Bergregionen der USA sein persönliches Paradies. Orte wie Aspen in Colorado sehen exakt so aus, wie man es aus den großen Hollywood-Produktionen kennt: tief verschneite Blockhütten, deren warme Lichter sanft durch die Dunkelheit schimmern, und Pferdeschlitten, die leise glöckchenläutend durch die weiße Pracht gleiten. Besonders die 12 Days of Aspen lassen die Herzen der Besucher höher schlagen. In dieser Zeit verwandelt sich der luxuriöse Skiort in ein kleines Winterwunderland, in der man sich nach einem Tag auf den schneebedeckten Gipfeln der Rocky Mountains an offenen Lagerfeuern trifft, gemeinsam heißen Kakao trinkt oder den Kindern beim Bestaunen echter Rentiere zusieht.
Doch dieser Zauber findet sich nicht nur in Colorado. Das Bergstädtchen Leavenworth im Bundesstaat Washington hat sich komplett dem bayerischen Stil verschrieben. Zur Weihnachtszeit leuchten dort über eine halbe Million Lichter, es gibt Alphörner, Glühwein und so viel Schnee, dass man sich wie in einem fiktiven Dorf in den Alpen fühlt – nur eben mitten im pazifischen Nordwesten der USA.
Ein weiterer Favorit für dieses nostalgische Gefühl ist Park City in Utah. Ähnlich wie Aspen ist es eine alte Silberbergbaustadt, die ihren viktorianischen Charme behalten hat. Ein Highlight dort ist der Snow Globe Walk mit lebensgroßen Schneekugeln und die Ankunft von Santa Claus, der ganz stilecht mit dem Sessellift einschwebt.
Es muss nicht immer frostig sein, um in Festtagsstimmung zu kommen. Im sonnigen Süden der USA, in Kalifornien oder Florida, feiert man Weihnachten oft ganz entspannt unter Palmen. Statt schwerem Festbraten gibt es hier nicht selten ein festliches Barbecue am Strand, und die rote Weihnachtsmütze wird ganz selbstverständlich mit Sonnenbrille und Flip-Flops kombiniert.
Ein ganz besonderes Juwel ist die historische Stadt St. Augustine in Florida. Bei den berühmten Nights of Lights wird die alte spanische Architektur von über drei Millionen weißen Lichtern in einen goldenen Glanz gehüllt. Wenn sich diese Lichter im ruhigen Wasser spiegeln und man bei milden Temperaturen durch die hell erleuchteten Kolonialgassen spaziert, spürt man, dass der Weihnachtszauber auch ganz ohne Schnee und Eis funktioniert.
